Einstieg, Ausstieg – Eine Drogen-Geschichte von vielen

Liebe Lena (Name geändert), dein Leben war überwiegend von Drogen dominiert. Nun bist du seit vier Jahren clean. Du hast dich bereit erklärt, uns Einblick in deine Geschichte zu geben.
Welche Drogen hast du denn so genommen, wie häufig und über welchen Zeitraum?

Mit 14 habe ich angefangen Alkohol zu trinken und zu kiffen. Mit 15 wurde ich von meiner Mutter weg geholt und über ein Heim in eine Auslandsmaßnahme nach Portugal geschickt.
Da begann es mit dem Kokain. Das kann man in 3 Varianten zu sich nehmen. Rauchen, ziehen und spritzen. Ich habe es geraucht und gezogen, fast 2 Jahre lang.
Heroin habe ich dort auch probiert, aber das war nicht so meins.

Drogen
Quelle: Pixabay

Als ich dann zurück nach Deutschland kam, musste ich einen kalten Entzug machen und brauchte einen billigen Ersatz.

So kam ich dann zum Pep und halt immer weiter gekifft. Man muss ja irgendwie auch wieder runter kommen und müde werden.
Mit meinem Exfreund habe ich auch Pillen und Tickets probiert. Tickets nur ein paar mal, weil mir das zu gefährlich war. Wegen des drauf kleben bleibens.
Teile bei Partys hauptsächlich. Im gesamten war ich 7 Jahre hochgradig drogenabhängig mit täglichem Konsum.

Bitte erkläre kurz die Begriffe Pep, Tickets und Teile.

Pep kennt man auch unter der Bezeichnung Speed. Aber Pep ist schon das richtige Wort. Das sind Amphetamine und wird meist als Paste entwickelt, die dann von den Dealern noch so weit gestreckt wird, das diese unfassbar viel Geld damit machen. Es ist bei der Herstellung flüssig und wird dann durchs Strecken zu Steinen die dann zerkleinert werden zu Pulver. Im Saarland ist ein Gramm Pep für 10€ erhältlich.
Tickets ist LSD auf meistens Löschpapier geträufelt und in kleine Papierstückchen zerteilt.
Teile sind kleine Tabletten in allen Farben, Formen und mit teilweise Heroin gemischt. Diese nennt man Ecstasy.

Bei Ecstasy wird teils Heroin untergemischt? Weiß man das dann und es ist absichtlich? Ist das nicht teuer?

Ecstasy mit Heroin sind braun gesprenkelt. Das ist Absicht und bewusst.
Ob Heroin teuer ist, kann ich nicht sagen. Ich habe es nur ein-zweimal in Portugal in der Maßnahme probiert.
Aber bei Pillen ist der Preis unterschiedlich.
Pillen sind reine Geldmacherei. Von 10 Pillen sind 2 nur Placebos. Braun gesprenkelte bringen halt mehr Geld rein, da sie erstaunlich gern genommen werden. Ich selbst hab nur einmal eine genommen. Heroin löst bei vielen Brechreiz aus. Ich habe mein Erbrochenes einfach wieder runter geschluckt, weil die Wirkung sonst ausbleibt. Aber glaub mir, ich bin da nicht die einzige.
Pillen werden gerne zum Party machen geholt, für in die Disco und so.

Schon klar, das machen viele..
Wieviel Geld hatte dich denn deine Sucht gekostet, so pro Abend oder im Monat?

Dadurch, dass ich viel im Ausgleich gegen Sex bekommen habe, kann ich den genauen Preis nicht nennen. Aber mein Hartz-IV ist immer fast komplett dafür drauf gegangen. Ich denke mal, mit dem „Geschenkten“ und dem zusammensitzen in einer Runde und dem eigenen Geld waren das mal locker 800-1000 € im Monat.

Puh, das sind schon Summen.. Und Essen hast du dann geklaut?

Ich habe nie geklaut. Das haben mir mein letztes bisschen Stolz und Würde verboten. Ein Päckchen Nudeln kostet 50 Cent, das war meine Hauptnahrung.

Manche gehen ja ganz normal einem Job nach. Ich habe mich gefragt, ob manche sich die Sucht dann so finanzieren können.

Drogen und Job funktioniert selten gut miteinander. Auch deren Geld geht viel dafür drauf.

Ich kenne wenige Leute, bei denen es gut genug geklappt hat dafür, dass sie den Job halten konnten..
Womit wird eigentlich gestreckt? Stimmt das mit dem Rattengift zum Beispiel?

Rattengift, Glassplitter, Backpulver, Mehl, Wasser um es schwerer zu machen und, und, und.
Zerbröseltes Glas in der Nase ist echt nicht cool.

Brrrrr.

Haha, so ist es aber! Jeder will Geld. Solchen Leuten ist es halt egal wie.

Wie kamst du mit Drogen in Berührung und was brachte dich dazu, so tief in diese Welt einzutauchen?

Drogen waren seit meiner Entstehung Bestandteil meines Lebens. Meine Mutter ist selbst seit ihren Jugendjahren polytox. Wenn man drogenabhängige Eltern hat, hat man ein echt beschissenes Leben. Sämtliches Geld wurde hauptsächlich für diesen Dreck ausgegeben. Meine Mutter hat sich prostituiert für mehr Drogen zu kaufen und ständig wechselnde Partner. Natürlich alle aus demselben Milieu und gewalttätig gegen mich und meine 3 jüngeren Geschwister.
Mit 14 wurde ich von meinem eigenen damaligen Freund vergewaltigt. Ab da war es bei mir vorbei.
Ich habe selbst mit dem Konsum angefangen um mein „tolles“ Leben einfach nur zu vergessen. Selbstmordversuche mit einbegriffen.

Wie hast du deinen Konsum finanziert? Wie wird er von anderen finanziert?

Ich habe meinen Konsum mit dem Geld vom Jobcenter, Prostitution und dem Vorteil eine Frau zu sein finanziert. Die meisten Dealer sind männlich, wenn man denen schöne Augen macht und der Rock heute mal ein bisschen kürzer ist, als sonst, bekommt man viel geschenkt.

Die meisten meiner damaligen männlichen Bekanntschaften haben mittlerweile eine Haftstrafe hinter sich oder sitzen gerade ab.

Diebstahl, Raubüberfälle und Einbrüche sind keine Seltenheit um Geld zu machen.
Drogenkriminalität ist kein Klischee. Konsum ist teuer und der muss finanziert werden. Also wird man kriminell.

Wie war das für dich, deinen Körper und sexuelle Dienste für Drogen oder Geld anzubieten? Warst du auf der Straße oder in Bordellen?

Weder noch. Ich habe es halt direkt mit den Dealern im Tausch für Drogen gemacht. Da ich Borderlinerin bin und sowieso ein selbstzerstörerisches Verhalten habe, hat es keinen Unterschied gemacht, ob ich mit vielen Männern schlafe um meinen Kopf zu vernebeln, oder um mir zu zeigen, was ich doch für ein widerliches Stück Dreck bin. Aber dadurch haben sich halt auch Zwänge entwickelt. Ich wasche meine Hände so oft am Tag, das diese regelmäßig wund und teilweise richtig offen und blutig sind. Was ich natürlich auch noch ausreize, da ich nicht mehr Ritze.

Welche körperlichen und psychischen Folgen beobachtest du an dir und anderen, aufgrund des Drogenkonsums?

Meine körperlichen Folgen: meine Lunge ist kaputt vom Pfeife rauchen, egal ob es vom kiffen oder Kokain kommt. Chemischer Konsum macht Pickel. Mein Gesicht ist voller Narben.

Die psychischen Folgen empfinde ich als viel schlimmer.

Ich habe Depressionen, immer noch den Drang zu konsumieren, den werde ich vielleicht auch nie wieder los. Mein Borderline konnte sich dadurch erst so richtig entfalten. Ich bin paranoid und leide unter Verfolgungswahn. Ich vertraue noch nicht mal mir selbst und habe mich von der Welt komplett zurückgezogen, weil ich zu große Angst habe wieder abzustürzen.

Weißt du von häufigen körperlichen Langzeitfolgen bei älteren Konsumenten?
Ich habe gehört, dass da die Schließmuskel teils nachlassen, weil das Nervensystem stark geschädigt wird. Ketamin greift die Harnblase stark an. Auch die Zähne sind natürlich schnell mal durch, da einiges an Nährstoffen aufgebraucht wird.

Hmm, körperliche Langzeitfolgen. Da hab ich nur ein 100 prozentiges Beispiel das ich persönlich kenne. Meine Mutter.
Ihre Zähne bestehen aus einem Gebiss. Sie sieht mindestens 20 Jahre älter aus als sie ist. Mit dem Schließmuskel, das weiß ich nicht so genau. Aber man sieht es Abhängigen an. An der Haut, am Verhalten, an den Zähnen.

Was hat dich dazu gebracht, da auszusteigen? Und wie hast du den Absprung geschafft?

Auf diese Frage gibt es nur eine Antwort: mein kleiner Sohn.
Der Vater meines Kindes war wie ich polytox, er hat also regelmäßig verschiedene Drogen konsumiert. Ich habe ab der Schwangerschaft auf das Kiffen reduziert. Ganz aufhören konnte ich leider nicht.
Da er mich aber geschlagen und psychisch fertig gemacht hat, auch vor dem Kleinen, wollte ich mein Kind mit in den Tod holen. Da hat es Klick gemacht.
Ich habe meiner Familienhebamme alles erzählt, diese hat mir dann geholfen einen Mutter-Kind-Therapieplatz zu bekommen. Ich bin anschließend umgezogen und habe alle Kontakte abgebrochen. Seitdem bin ich clean.

Drogen
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Wie war denn die Schwangerschaft mit deinem Sohn? Hast du danach gestillt, konntest du dich selbst um ihn kümmern?

Ich hatte eine sehr schöne Schwangerschaft, obwohl ich gekifft hatte. Hab das zwar reduziert, aber schämen tue ich mich trotzdem. Gestillt habe ich, bis mein Engel 8 Monate war und auch in dieser Zeit gestillt. Aber egal wie high ich war, für mein Kind bin ich sogar über den Boden gekrabbelt. Ich war immer für ihn da, weil ich aus Erfahrung wusste, dass es echt scheiße ist, keine anwesende Mutter zu haben.
Aber ich bin froh, dass ich meine Oma habe. Ich habe nämlich Tage, an denen ich so müde bin, dass ich mich nicht um mein Kind kümmern kann und nur schlafe. Das liegt wohl an meiner Depression.

Gibt es bei deinem Sohn körperliche oder psychische Auffälligkeiten? Hat die Belastung durch eure Geschichte merkliche Folgen hinterlassen?

Mein Sohn ist körperlich völlig normal entwickelt. Aber das hat nichts zu heißen. Er war auch bei der Geburt erstaunlich schwer und groß. 51 cm und 3620 g. Das ist auch für ein „normales“ Kind sehr gut.
Er ist jetzt viereinhalb Jahre alt und hat ADHS diagnostiziert bekommen. Das Problem ist, ich kann nicht sagen, ob es vom Konsum kommt oder von den Genen, denn sein Vater, meine Mutter und mein Bruder haben auch diagnostiziertes ADHS.
Aber ansonsten ist er völlig normal. Er ist auch sehr intelligent. Wenn sein ADHS nicht wäre, könnte er nächstes Jahr zur Schule gehen, da er ein kann-Kind ist.
Mein Sohn hatte immer alles.
Jeden Tag frisches Obst und Gemüse. Dafür bin ich extra auf die Tafel gegangen. Gesunde Ernährung für mein Kind war mir immer das wichtigste.
Ich habe meinem Sohn auch schon das Blut untersuchen lassen, weil er so häufig krank war. Er hatte das perfekte Blutbild. Waren nur die Polypen, die raus mussten.

Mein Sohn hat mir das Leben gerettet.

Sobald ich einen Verdacht habe, das etwas nicht stimmt, mache ich solange, bis das Problem behoben ist.
Es ist hart, da wir beide unsere Probleme haben und ich alleinerziehend bin, aber wir schaffen das, solange ich daran glaube.

Welche Risiken siehst du in sporadischem Drogenkonsum? Gibt es deiner Ansicht nach eine ’sichere‘ Art synthetische Drogen zu konsumieren?

Aus sporadisch wird schnell mehr. Es muss nur mal was richtig schlecht laufen im Leben, und man flüchtet sich in die Drogen. Man merkt nix mehr und es ist einem alles egal.

Es gibt keine sichere Art zu konsumieren.

Es gibt da einen netten Spruch von Besserwissern: Beherrsche die Drogen und lass dich nicht von ihnen beherrschen.
Blöder Spruch, die Drogen sind immer stärker, sonst würde man sie ja nicht nehmen.
Ehrlich gesagt habe ich auch nichts gegen Kiffen, aber selbst das kann Leben und Hirn zerstören.
Ich habe vom Konsum ganze Jahre meines Lebens einfach vergessen.

Was würdest du vor allem jungen Menschen mitgeben, die zu (vor allem synthetischen) Drogen greifen?

Ich kann ihnen nichts mitgeben, da es nichts ändern würde. Die meisten Konsumenten hatten einen Punkt im Leben, an dem sie keinen Ausweg mehr gesehen hatten. Selbst wenn ich sage, Drogen sind schlecht und das ganze Blabla das man überall hört, würde es absolut nichts ändern.
Um da wieder raus zu kommen, muss man es aus eigener Kraft schaffen und wollen.

Vor allem wollen.

Der Wille sein Leben zu ändern ist in diesem Bereich alles, was zählt. Ich hatte so oft gesagt ich höre auf und habe es trotzdem erst geschafft, als ich meinen Sohn mit in den Tod holen wollte.

Vielen Dank für deine Offenheit.

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Hier schreibt Mira. Hauptberuflich Lebenskünstlerin mit Fokus auf Heilkunde, Mutterschaft und die Entfaltungsprojekte.

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